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Geschleifte Ortschaft – Groß Grabenstedt

Stell Dir vor, Du schreitest in den 1950er Jahren durch das Dorf Groß Grabenstedt. Zwischen den sechs beeindruckenden Vierseitenhöfen von Großbauern und der Wassermühle erlebst Du das tägliche Leben von etwa 100 Bewohnern. Während Du weiter durch das Dorf wanderst, stolperst Du über das kleine Bauerngehöft, die Arbeiterwohnhäuser, eine einladende Gaststätte und die Schule. In der Ferne siehst Du die markante Feldsteinkirche und hörst das Rauschen des Laubwaldes, der das Dorf umgibt.

Doch die Idylle wird durch die politischen Ereignisse der 50er Jahre überschattet. Als die Sperrzone 1952 eingeführt wird, spürst Du die Anspannung. Bewohner, die als unbequem galten oder als potenzielle Republikflüchtlinge betrachtet wurden, mussten das Dorf verlassen. Mit den Jahren spürst Du, wie das Dorf mehr und mehr in den Fängen der innerdeutschen Grenze festgehalten wird: Erst der Stacheldraht, dann der Signalzaun, die Hundelauftrasse. Bis schließlich 1986, als das ganze Dorf zwangsweise evakuiert wurde und die Gebäude abgerissen wurden.

Ein besonders schmerzhafter Verlust war die Zerstörung der evangelischen Dorfkirche, ein spätgotischer Rechteckbau aus Backstein, 1988. Doch ein Stück Geschichte blieb erhalten: Ihre Glocke, ein Guss aus dem 13. oder frühen 14. Jahrhundert, erklingt heute in der Dorfkirche Osterwohle.

In den administrativen Wirren wurde Groß Grabenstedt 1950 mit Klein Grabenstedt zur Gemeinde Grabenstedt zusammengeführt, und durch diverse Gemeindezusammenlegungen und -änderungen, wurde Groß Grabenstedt schließlich ein Ortsteil von Andorf. Und obwohl das physische Dorf Groß Grabenstedt nicht mehr existiert, bleibt seine Erinnerung in der Gemarkung Grabenstedt und in den Herzen all jener, die es einst ihr Zuhause nannten, lebendig.

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Geboren in Groß Grabenstedt

Ute Juschus - Zeitzeugin

Ute Juschus lebte von 1945 bis 1979 in Groß Grabenstedt auf. Sie erlebte ihre Kindheit und Jugend dort, gründete eine Familie und zog ihre Kinder in dieser Gemeinschaft groß. Sie erinnert sich bei Führungen an idyllische Momente, wie das Spielen unter den Obstbäumen hinter der Kirche oder auf den Straßen des Dorfes. 1952 brachte die Einrichtung einer 500-Meter-Sperrzone Veränderungen in ihr Leben. Der Stacheldraht kam 1961, wodurch sich ihr Alltag einschränkte. Die Schulschließung führte dazu, dass Ute und andere Kinder nach Henningen zur Schule gehen mussten. 1968 freute sich Ute über die Geburt ihres Sohnes Olaf in Groß Grabenstedt, die letze Geburt im Ort. Doch die Spannungen stiegen: 1972 wurden Hunde an der Grenze eingesetzt, einige Häuser begannen zu verfallen. Drei Jahre später, 1975, sah sich Ute gezwungen, mit ihrer Familie nach Henningen zu ziehen und ihre geliebte Heimat zu verlassen.

Highlights

  • Besuche eine der Führungen des BUND Sachsen-Anhalt e.V. durch den Ort und entdecke Geschichte hautnah.
  • Entdecke den Friedhof, der heute von wilden Beeren überwuchert ist und finde den alten Backsteinstall, der als letztes Gebäude heute noch steht.

Wichtige Informationen

  • Die neuere Biogasanlage ist heute der einzig belebte Ort in der ehemaligen Dorflage.
  • Die Zuwegung zum Ort ist nicht sehr gut, hier muss man das Rad eventuell schieben.